[Update 2020] Diese Aussage geistert schon sehr lange durch die Szene und man wird immer wieder gefragt: „Ist das denn No Melt, No Drip?“. In der Regel kommt es dann immer zu einem Gespräch und man kann in einer persönlicher Beratung Aufklärung leisten, mit Mythen aufräumen und ein tieferes Verständnis für diese, sehr komplexe und brisante, Thematik schaffen.
Das erwartet Dich in diesem Blogbeitrag:
Einführung
Wenn wir über die Sicherheit der Profis sprechen, insbesondere wenn es um den Schutz vor Feuer geht, kommen wir zu einem heiklen Thema über die No Melt, No Drip Stoffe und ihrem direkten Vergleich mit der FR-Kleidung.
Wie wir in diesem Beitrag noch aufzeigen werden, gibt es wenig Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Stoffen und bestimmte Missverständnisse in diesem Bereich führen zu einem gefährlichen Sicherheitsgefühl, wenn Du Dich für die taktische No Melt, No Drip Kleidung entscheidest.
Richtig aufgeschreckt wurde ich aber, als ein Repräsentant des CORDURA Faser Produzenten INVISTA über eine der letzten IWA und Techtextil Messen spazierte und seine Geschichten und Videos über das super Brennverhalten von CORDURA-Baumwollmischungen (NyCo) verbreitete.
Erst dann war mir so richtig klar, dass hier etwas sehr gefährlich falsch läuft.
Es wird nämlich einem fatalen Missverständnis Vorschub geleistet, dass alles was aus Polyester ist brennt, schmilzt und tropft, während demgegenüber NyCo, lediglich relativ harmlos verkohlt.
Ist das denn wirklich so?
Namely that it fosters the fatal misconception that anything made of polyester will burn, melt and drip – whilst NyCo just gets a little charred. But is this really true?
Schau Dir das Video an, um mehr über das Thema No Melt, No Drip zu erfahren.
WAS DEN STEIN INS ROLLEN BRACHTE
Am Anfang stand ein spektakuläres Video: Zwei Puppen werden im sogenannten „Thermo Man Test“ beflammt. Dabei trägt eine der beiden eine Polyester/Baumwolle (PolyCo) BDU, die andere eine aus Nylon/Baumwolle (NyCo).
Nachdem die Brenner ausgeschaltet werden, brennt die Polyester-Variante lichterloh weiter, während die NyCo Variante noch kurz nachzüngelt und kurz darauf erlischt.
Eigentlich ein klarer Beweis dafür, dass Polyester hoch riskant ist und NyCo ein wesentlich besseres Brennverhalten hat. Oder?
Schauen wir uns hierzu einmal genauer an, was eigentlich passiert:
Im ersten Teil sieht man einen simulierten Flash-Over und das Nachbrennen beider Testvarianten, nachdem die Brenner erloschen sind. Allerdings brennt die als nicht schmelzend und nicht tropfend bezeichnete NyCo-Variante weniger.
Bei den meisten Personen, mit denen ich mich über diesen Film unterhalten habe, entstand dabei der Eindruck, dass die NyCo-Variante gar nicht so richtig brennt und man damit quasi eine leicht flammhemmende Bekleidung tragen und somit über ein Mindestmaß an Schutz verfügen würde.
Soweit der erste Teil der Botschaft, denn es folgt darauf noch ein Präsentator, der die wunderbaren Festigkeitswerte der NyCo-Mischungen lobt, womit also insgesamt hängen bleibt: NyCo ist relativ flammresistent, schmilzt nicht, tropft nicht und ist super stabil.
FAKTEN UND HINTERGRÜNDE
Es stellt sich somit die Frage: Warum gibt es dann überhaupt noch BDUs Polyester/Baumwolle (PolyCo)?
Um das zu beantworten, müssen wir eine Ebene tiefer einsteigen und uns dabei genauer anschauen, was man nicht unmittelbar sieht oder versteht:
Zunächst die Uniformen:
- Der Baumwollanteil beträgt in der NyCo Variante 50%. Davon bestehen die anderen 50% aus Nylon (in diesem Fall von CORDURA).
- Der Baumwollanteil der Polyester/Cotton Variante liegt 15% niedriger und somit bei 35%.One does not explicitly see the clothing actually burning when subjected to the flames.
Bei dem angesprochenen Test ist die Puppe Temperaturen um die 800°C ausgesetzt. Dabei sieht man nicht explizit, ob die Bekleidung während der Beflammung tatsächlich brennt. Das ist allerdings anzunehmen, da beide Varianten nach dem Erlöschen der Brenner noch nachbrennen.
Schauen wir uns als nächstes die Testverhältnisse an:
Das Szenario kann mit einem Flash-Over verglichen werden, also einer Feuer- und Hitzewalze, wie sie bei einer Explosion entstehen würde.
In Kriegsgebieten der heutigen Zeit sind vor allem IED (Improvised Explosive Device) Risiken allgegenwärtig.
Explosionen, verursacht durch diese selbstgebauten Sprengfallen, zählen mit zu den wesentlichen Bedrohungen von Kombattanten, sowohl im Freien, als auch in Fahrzeugen oder Gebäuden.
Beides kann Verletzungen unterschiedlichen Grades verursachen, von leichten bis hin zu schweren Verletzungen mit Todesfolge. Was nun in dem Video leider völlig unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass dieses simulierte Inferno nur mit einem Komplettschutz überlebt werden kann.
Und das bedeutet:
- Flammhemmende BDU aus Pyroshell, Nomex etc.
-
Hitzeisolierende und flammresistente Unterwäsche
-
Atemschutz, der das Einatmen der tödlich heißen Gase verhindert
-
Entsprechender Kopfschutz, Handschutz und nicht brennbares Schuhwerk
Zu dem nur kurzen „Nachkokeln“ im Video, möchte ich nur so viel anmerken:
Auch wenn es zu einer positiveren Beurteilung der NyCo Variante verleiten könnte, muss man sich bitte darüber im Klaren sein, dass man ein derartiges Szenario weder in der NyCo noch in der PolyCo BDU überlebt!
Die Verbrennungen wären so großflächig und hochgradig gewesen und die Auswirkungen der eingeatmeten heißen Luft so gravierend, dass sie zum unmittelbaren Tod führen.
Wo wäre demnach dann der Vorteil einer No Melt No Drip BDU zu sehen?
DIE URSPRÜNGE DER DEBATTE
Wenn wir uns etwas eingehender mit der Thematik beschäftigen, stoßen wir auf ein Verbot von Polyester Unterwäsche, welches vonseiten des Marine Corps im Jahr 2006 für Soldaten erlassen wurde, die sich in Kampfzonen aufhalten.
Allerdings stößt man bei weiterer Lektüre auch auf den kontroversen Standpunkt der US-Army, welche die negative Einstellung des Marine Corps gegenüber Polyester-Fasern nicht so vehement vertritt.
Siehe dazu das folgende Zitat aus Stars and Stripes:
„Physicians at the Army Institute of Surgical Research at Brooke Army Medical Center, Fort Sam Houston, Texas, have looked into the issue, and „they have seen no medical evidence that suggests (petroleum-based fibers) melt and cause these kind of burns.“
Zitat von Maj. Clay Williamson, PEO Soldiers assistant product manager for fire resistant clothing”
Zusammengefasst: Wissenschaftler des Brooke Army Medical Center haben keinen Beweis dafür gefunden, dass erdölbasierte Fasern (Polyester und auch Nylon, Anm. d. Verf.) schmelzen und derartige Verletzungen verursachen.
Ist also die Polyester-Faser doch nicht so übel?
Aber das ist nicht die einzige Frage, die sich mir stellt:
WENN TATSÄCHLICH FEUER AM DACH IST
Was ist denn dann überhaupt „No Melt, No Drip“ und wie wichtig ist es für mich in einer brenzligen Situation?
Man sollte sich grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass sowohl Polyester, als auch Nylon brennen, schmelzen und tropfen wenn man sie entzündet.
Wer immer noch der NyCo-Botschaft nachhängt, dem rufe ich seine letzte schmerzhafte Erfahrung beim Verschmelzen von Paracord in Erinnerung.
Wem diese Erfahrung tatsächlich noch fehlt, der könnte unter Umständen versucht sein, ein Paracord Endstück anzuzünden und einen der beim Brennen entstehenden, sehr heißen Tropfen mit dem Finger aufzufangen.
Aber Vorsicht: Der Tropfen ist sehr heiß und brennt sich außerordentlich schmerzhaft in die Haut ein. Die Folgen sind auch Tage später immer noch zu spüren.
Wie war das also noch einmal? Nylon schmilzt und tropft doch nicht, oder? Wurde von uns da unter Umständen etwas falsch verstanden?
EIN BLICK AUF DEN PROZESS DES SCHMELZENS
Tatsächlich ist es nicht das Nylon, sondern die Baumwolle, die für das Nichtschmelzen und das Nichttropfen bei NyCo verantwortlich ist.
Beziehungsweise korrekter ausgedrückt: die Baumwolle absorbiert die schmelzende Flüssigkeit der brennenden Synthesefaser, egal ob es sich dabei um Nylon oder Polyester handelt.
Man braucht also eine Naturfaser wie Baumwolle, Viskose, oder auch Wolle, um die schmelzende Flüssigkeit und das Tropfen einer brennenden Synthesefaser zu binden.
Ein fairer Vergleich?
Versucht man sich nun an das erste Mal zu erinnern, als das jetzt schon öfter zitierte Video mit der Gegenüberstellung angesehen wurde: Ist jemanden dabei aufgefallen, dass bei der PolyCo-BDU der Baumwollanteil um ganze 15% niedriger war, als bei der NyCo-BDU?
Nicht gerade fair, oder?
Die Gegenüberstellung vergleicht also 2 Systeme, bei denen jenes, welches schlechter aussehen soll, von der für das Brennverhalten entscheidenden Zusatzkomponente signifikant weniger beinhaltet.
Generell spricht man in solchen Fällen von einem Taschenspielertrick.
Sehr beliebt im Marketing, wenn man es mit fundierten Fakten nicht schafft, den Kunden von seinem Produkt zu überzeugen.
Allerdings möchte ich das im vorliegenden Fall, den Mitarbeitern des Cordura-Teams nicht vorwerfen, da sie ja wirklich ein gutes Produkt vertreten.
Unterstellen wir einfach einen Lapsus, der durchaus im Eifer der Euphorie passieren kann.
Allerdings sind die Konsequenzen relativ gravierend, da hiermit – sicher unbeabsichtigt – ein bis zwei ziemlich gefährliche Missverständnisse an den Markt kommuniziert wurden.
Missverständnis Nr. 1:
No Melt, No Drip ist nicht alleine eine Nylon-Cordura Eigenschaft.
Man erreicht dies immer dann, wenn man schmelzende und tropfende Fasern mit natürlichen Fasern kombiniert, welche ausreichend schmelzende Materialien absorbieren können.
Missverständnis Nr. 2:
No Melt, No Drip steht in keinerlei Zusammenhang mit flammhemmenden Eigenschaften
Es ist auch nicht die „ein bisschen flammhemmende“ Option. Sie schützt nicht vor den lebensgefährlichen Folgen von Flamm- und/oder Hitzeeinwirkung auf den Körper.
ALTERNATIVEN UND TATSÄCHLICHE LÖSUNGEN
OK, da wir ja jetzt schon gut aufgewärmt in der Thematik stecken, würde ich gerne zu den beiden Feststellungen noch ein paar ergänzende Punkte anfügen.
Wenn wir tatsächlich No Melt, No Drip erreichen wollen, dann haben wir festgestellt, dass man mit einer Kombination von Synthetik- und geeigneten Naturfasern diesen Effekt erzielen kann.
Das bedeutet nicht immer, dass diese Kombination als Fasermischung in ein und derselben Textilie steckt.
Man kann sich auch in diesem Fall das Lagenprinzip im Bekleidungssystem zu Nutzen machen.
Wie? Indem man unter einer synthesefaserhaltigen Bekleidungsschicht eine entsprechende Naturfaserschicht trägt.
Wichtig ist dabei, dass die Gewichtsanteile der Synthetikfaser und der Naturfaser in einem möglichst ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und die Naturfaserlage diejenige ist, welche näher zum Körper liegt.
Das funktioniert und man kann bei einer entsprechend intelligenten Kombination sowohl die sehr guten Eigenschaften der Synthetikfaser (guter Feuchtigkeitstransport, schnelltrocknend) nutzen, als auch mit der geeigneten Naturfasermischung das Bekleidungssystem hinsichtlich der Funktionseigenschaften optimieren.
Ich empfehle dazu wärmstens ein leichtes Merino-/Misch Unterwäsche mit einem Merinowollanteil von über 60%.
DIE HARTE REALITÄT
Erlaubt mir aber bitte noch ein paar Sätze zum Thema flammhemmend!
Wenn ein Flamm- oder Hitzerisiko besteht, dann gibt es nur flammfest oder nicht! Halbschwanger funktioniert – auch in diesem Fall – nicht.
Außerdem muss man flammhemmende Bekleidung immer im Systemzusammenhang verstehen.
Angefangen beim Base Layer, bis hin zur äußersten Schicht im Bekleidungssystem muss jede einzelne Lage diese Anforderung erfüllen und sollte zudem die vom Körper produzierte Feuchtigkeit schnell abtransportieren.
Dies ist insofern wichtig, da sehr feuchte Unterwäsche (z.B. aus Baumwolle) wie ein Dampfkessel wirkt. Bei einem Hitzeaufschlag verdampft die in der Unterwäsche gespeicherte Feuchtigkeit und kann dadurch ernsthafte Verbrühungen verursachen.
Wenn man mich nach meiner persönlichen Meinung zum Thema Flammschutz fragt, dann rate ich jedem, der sich einem Flamm- und Hitzerisiko aussetzt, für sich selbst abzuwägen und zu entscheiden, ob er aus Sicherheitsgründen wirklich konsequent ein flammhemmendes Bekleidungssystem trägt.
Oder ob er das Risiko in Kauf nimmt und sich für möglicherweise tragekomfortablere und kostengünstigere, nicht flammhemmende Varianten entscheidet, egal ob nun NyCo, NyTe, PES/CO usw.
Und bitte noch einmal: No Melt, No Drip darf bei dieser Entscheidung nicht zur Risikoreduzierung herangezogen werden.
Selbstverständlich wird man bei flammhemmender Bekleidung Kompromisse schließen müssen. Gott sei Dank sind diese beim Tragekomfort heute lange nicht so krass, wie bei den bekannten klassischen Varianten, die auf Nomex®, oder anderen nicht brennbaren Fasern basieren
PROFESSIONELLE LÖSUNGEN
Aufgrund neuer flammhemmender Technologien, wie beispielsweise pyroshell™ von Schoeller, die wir bei unserem Striker FR System einsetzen, ist der Flammschutz wirklich phänomenal gelöst, da gleichzeitig Flammschutz und eine gewisse Hitzeisolierung erzielt werden, ohne dass dabei der Tragekomfort und die übrigen textilen Eigenschaften in den Keller gehen.
In diesem Artikel kannst Du mehr über pyroshell™ lesen.
Die Striker FR BDU
Der Vorteil ist; im Vergleich zu den klassischen flammfesten Vertretern, kann man auch Merino oder Merinomischungen bei der Unterwäsche einsetzen.
Wir haben die Striker FR BDU auf dem Thermo-Man bei einem Flash-Over von 3 Sekunden mit einer 200er WoolPower Unterwäsche getestet und dabei wirklich ausgezeichnete Ergebnisse erreicht.
Allerdings, und das ist tatsächlich der Wermutstropfen, sind flammhemmende Systeme immer noch erheblich teurer, als die „normalen“, nicht flammhemmenden Varianten.
RESÜMEE
Wie auch immer Eure Entscheidung ausfallen wird, ich hoffe mein Blog hat etwas zur Aufklärung der vielen Irrtümer zum Thema „es schmilzt und tropft nicht“ beigetragen.
Vor allem liegt mir sehr viel daran, dass Ihr Eure zukünftigen Entscheidungen nicht unter dem Irrglauben trefft, dass No Melt, No Drip eine abgespeckte Flammschutzvariante – im Sinne von Flammschutz light – ist.
Mit einer persönlichen Anekdote schließend: Auf No Melt, No Drip angesprochen hat ein ehemaliger Kollege von mir, Oberstleutnant i.R. und langjähriger Angehöriger der Abteilung Weiterentwicklung einer mitteleuropäischen Armee gesagt:
„Na ja, die Leiche ist vielleicht schöner...“